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HÄUFIGKEIT, VERLAUF UND FOLGEN DER MAGERSUCHT
Häufigkeit
Anorexia nervosa kommt in modernen Ländern, in denen Nahrung im Überfluss vorhanden ist, viel häufiger vor als in armen Ländern. Besonders in den Gesellschaften, wo ein Schlankheitsideal ausgeprägt ist, leiden mehr Menschen unter Magersucht. Mehr als 80% der Betroffenen sind Mädchen und Frauen, jedoch scheint es, als sei der Anteil der anorektischen Männer in den letzten Jahrzehnten gestiegen.
Bei heranwachsenden Mädchen und jungen Frauen liegt die Häufigkeit dieser Erkankung bei knapp 1%, d.h. fast jede 100. heranwachsende Frau leidet unter Anorexia nervosa.
Weit häufiger noch kommt es vor, dass junge Frauen unter einem großen Teil der typischen magersüchtigen Merkmale leiden, also auch erheblich essgestört sind, auch wenn sie nicht immer alle diagnostischen Kriterien erfüllen. Die genaue Häufigkeit bei Jungen und Männern kann nur geschätzt werden, sie ist deutlich niedriger, exakte Zahlen liegen bisher nicht vor.
Verlauf
Bei den meisten von Magersucht Betroffenen beginnt die Krankheit während oder kurz nach der Pubertät. In den letzten Jahren mehren sich Hinweise, dass auch sehr junge Mädchen im Alter von 10-12 Jahren schon magersüchtiges Verhalten entwickeln. Oft ist der Beginn der Essstörung mit belastenden Ereignissen verbunden, z.B. Konflikte in der Familie, Scheidung der Eltern, Wohnortwechsel, Studienbeginn oder andere einschneidende Veränderungen in der gewohnten Umgebung.
Der weitere Verlauf der Erkrankung kann sehr unterschiedlich sein. Einige überwinden die Störung nach nur einer Episode, die allerdings mehrere Monate oder sogar Jahre dauern kann. Andere erleben über viele Jahre einen Wechsel von Gewichtsabnahme und -zunahme.
Wieder andere entwickeln bulimische Symptome und überwinden zwar die Magersucht, leiden dann aber unter Bulimia nervosa. Und ein nicht geringer Teil entwickelt eine chronische Anorexie, d.h. nimmt weiter ab und bleibt über viele Jahre stark untergewichtig.
Langfristig schaffen es nur wenige Betroffene, die Magersucht aus eigener Kraft zu überwinden; viele entwickeln eine dauerhafte Essstörung, und etwa 10-15% der Magersüchtigen sterben an den Folgen ihrer Erkrankung. Damit ist die Anorexie die tödlichste psychische Störung, die wir kennen. Sehr häufig sind zusätzliche psychische Störungen zu beobachten, wie z. B. Depressionen, Zwangssymptome, Ängste, zumeist als Folge der Essstörung, manchmal als zusätzliche Komplikation oder auch als eine von vielen Ursachen.
Folgen
Jede Magersucht hat ausgeprägte körperliche und psychische Folgen. Auffälligste körperliche Folge der Anorexia nervosa ist das Untergewicht. Die Mangelernährung beeinträchtigt die meisten wichtigen Organe und kann eine Vielzahl von Symptomen hervorrufen. Auch das absichtliche Erbrechen, der exzessive Sport und der Missbrauch von Abführ- und Entwässerungsmitteln können erhebliche Störungen verursachen. Fast immer sind krankhafte Veränderungen im Blutbild (Anämie) und andere auffällige Laborbefunde zu beobachten (zuviel Cholesterin, erhöhter Blut-Harnstoff-Stickstoff, erhöhte Leberwerte).
Besonders besorgniserregend sind die Veränderungen im Elektrolythaushalt, die zu sehr ernsthaften Störungen des Kreislaufsystems und der Nierenfunktionen führen können. Die hormonellen Änderungen und Störungen sind vielfältig und betreffen v.a. die reproduktiven Funktionen, haben aber auch erhebliche Auswirkungen auf andere Organsysteme, u.a. den Hirnstoffwechsel. Krankhafte Befunde finden sich im EKG und im EEG, auch in der Computertomographie des Gehirns lassen sich ausgeprägte Veränderungen des Gehirnvolumens bei magersüchtigen Patienten nachweisen.
Ausgeprägte körperliche Beschwerden sind die Folge: Auszehrung, Hauttrockenheit, Änderungen der Hautbehaarung ("Lanugo"), verlangsamter Herzschlag, Ödeme, Hautverfärbungen, Schwellungen der Ohrspeicheldrüsen, Erosion des Zahnschmelzes (bei Erbrechen), niedriger Blutdruck, Herzrhythmusstörungen und – besonders schwerwiegend, weil nicht rückgängig zu machen – Osteoporose.
Psychische Folgen der Magersucht sind depressive Verstimmungen, Konzentrationsstörungen, Leistungsabfall, Zwangsverhalten, rigides Denken, soziale Isolierung, Ängste vor Öffentlichkeit, Einschränkung der emotionalen Erlebnisfähigkeit.
Nicht wenige der Betroffenen, die unter langdauernder Magersucht leiden, entwickeln so starke Depressionen, dass es zu Selbstmordversuchen kommt. Auch die familiären und sozialen Folgen der Anorexia nervosa sind gravierend. Die meisten Familien sind schnell überfordert mit der Situation des erkrankten Familienmitglieds, es kommt zu Spannungen und Konflikten, die die Problematik der Patientin weiter verschärfen können.